Als meine Sorge zur Welt kam
Als meine Sorge zur Welt kam, hegte und pflegte ich sie mit zärtlicher Liebe. Wie alles Lebende wuchs sie, wurde stark und schön und war voll wunderbarer Freuden.
Wir liebten einander, meine Sorge und ich, und liebten die Welt rings um uns. Denn meine Sorge war freundlich, und ich war freundlich zu ihr.
Wenn wir miteinander sprachen, meine Sorge und ich, vergingen die Tage im Flug, und wundervolle Träume schmückten unsere Nächte. Denn meine Sorge hatte eine beredte Zunge, und ich redete viel mit ihr.
Wenn wir miteinander sangen, meine Sorge und ich, saßen die Nachbarn an den Fenstern, denn unsere Lieder waren tief wie das Meer, und unsere Melodien riefen ferne Erinnerungen zurück. Wenn wir miteinander auf der Straße gingen, meine Sorge und ich, blickten die Leute uns wohlwollend nach und flüsterten die schönsten Sachen. Wir hatten aber auch Neider, denn meine Sorge war ein nobles Ding, und ich war stolz auf sie.
Aber wie alles Lebende starb meine Sorge, und nun bin ich mit meinen Gedanken allein.
Jetzt tönen meine Worte plump in meinen Ohren. Keine Nachbarn kommen, um meine Lieder zu hören. Niemand blickt mir nach, wenn ich über die Straße gehe.
Nur im Schlaf höre ich mitleidige Stimmen sagen: »Seht, hier liegt der Mann, dessen Sorge gestorben ist.«
– Aus: Der Narr von Khalil Gibran –